Dokdo – eine koreanische Inselgruppe
Auf die Inselgruppe Dokdo, die östlichste Insel Koreas erheben sowohl Südkorea als auch Japan territoriale Ansprüche. Seit dem Jahr 1953 wird die Inselgruppe de facto von Südkorea verwaltet. Im Unterschied aber zu dem Streit über die Bezeichnung des Meeresgebietes zwischen Korea und Japan, geht es hierbei nicht nur um nominelle Werte: In der letztgenannten Angelegenheit plädiert Südkorea dafür, die beiden zwischenzeitlich eingebürgerten Namen gleichberechtigt zu verwenden, also Ostmeer (Dong Hae) einerseits und Japanisches Meer andererseits. Aber in der erstgenannten Angelegenheit geht es um konkrete Besitzverhältnisse, mit wesentlichen ökonomischen und ökologischen Konsequenzen. Wie ist es zu dem Streit gekommen, und wie kann er beigelegt werden?
Das Gebiet
Die Inselgruppe Dokdo, die sich ungefähr in der Mitte zwischen der koreanischen Halbinsel und dem japanischen Archipel befindet (etwa bei 37° nördlicher Breite und 132° östlicher Länge), besteht aus den zwei Hauptinseln Dongdo (Ostinsel) und Seodo (Westinsel) mit einer Fläche von rund 73.000 bzw. 89.000 Quadratmetern und 89 kleineren Felsen, die um die Hauptinseln herum verstreut sind. Die Inselgruppe besitzt ein einzigartiges Ökosystem, das im wesentlichen durch einige Süßwasserquellen und die vulkanischen Oberflächen bestimmt wird, die zum Teil von einer dünnen Schicht Erde und Moos bedeckt sind und 70 bis 80 Pflanzenarten, 22 Vogelarten und 37 Insektenarten als Lebensraum dienen. Die umgebenden Gewässer, in denen warme und kalte Strömungen zusammentreffen, beherbergen zudem große Fischbestände mit rund 100 verschiedenen Arten. Abgesehen von dem hohen Symbolwert, den die Inselgruppe für Korea besitzt, weil sie den östlichen Rand des Landes darstellt, ist sie auch von praktischem Wert für koreanische Fischer als Hafen und Fangstation und dient zudem als Beobachtungsplattform für seismologische und meteorologische Messungen.
Der Name
Heute benutzen Korea und Japan alternative Namen für die Inselgruppe, aber ursprünglich gab es eine Vielfalt verschiedener Namen, von denen in Korea Usando bis ins späte neunzehnte Jahrhundert hinein am häufigsten verwendet wurde. Erst anschließend wurden die Bezeichnungen Seokdo und Dokdo geläufig, die im Grunde zwei verschiedene chinesische Übersetzungen (nämlich einmal der Bedeutung gemäß, einmal der Aussprache gemäß) desselben koreanischen Wortes sind: Dolseom oder Dokseom, was im Dialekt der Einwohner des benachbarten, rund 90 Kilometer nordwestlich liegenden Ulleungdo soviel wie Felseninsel bedeutet. Im Zuge der japanischen Besatzung Koreas seit 1905 (bzw. seit der Annexion von 1910) wurde die Inselgruppe vorübergehend in Takeshima (Bambusinsel) umbenannt, ein Name, der aber häufig mit dem Namen Matsushima (Pinieninsel), der ursprünglich für Ulleungdo eingeführt worden war, konfundiert wurde und bereits seit einiger Zeit in japanischen Berichten verwendet worden war.
Der Anspruch
Korea führt seinen Anspruch auf die Inselgruppe auf einen Eintrag in der Chronik Samguk Sagi zurück, der die Souveränität mit der Eingliederung des Landes Usanguk in das Königreich Silla im Jahre 512 verbindet. Hierauf beziehen sich auch geographische Berichte späterer Könige aus dem 15. bzw. 16. Jahrhundert. Dagegen verbleibt ein japanischer Gegenbeleg aus dem 17. Jahrhundert uneindeutig, weil er sich lediglich auf Positionsangaben bezüglich der Insel Oki bezieht, die dabei ausdrücklich als „nördlicher Rand Japans“ bezeichnet wird. Tatsächlich begannen die Streitigkeiten zwischen Korea und Japan über die Inselgruppe gerade zum Ende des 17. Jahrhunderts hin, als es zur Konfrontation koreanischer und japanischer Fischer kam. Im Jahr 1696 bestätigte daraufhin das Tokugawa-Shogunat, daß Ulleungdo samt Dokdo zu Korea gehörten, nachdem ein zuvor von japanischen Fischern entführter koreanischer Fischer namens Ahn Yong-bok in Edo (Tokyo) interveniert hatte. Über diesen Vorgang gibt es eine japanische Dokumentation. Gleichwohl hielten sich japanische Fischer nicht sogleich an diese Vereinbarung, so daß der zwischenzeitlich repatriierte Ahn es selbst unternahm neuerlich zu intervenieren und die japanischen Fischer bis zur Insel Oki zurückzutreiben. Dort wurde er nochmals von der Verwaltung empfangen, und die frühere Vereinbarung wurde schließlich 1699 schriftlich bestätigt.
Die historische Entwicklung
Bis zur Absetzung des Tokugawa-Shogunats im Jahre 1868 betrieb Japan in der Folgezeit eine Politik der Isolation, die es Japanern nicht gestattete, nach Übersee zu reisen. Insofern war der Nachholbedarf an Informationen über die Nachbarländer groß, und das japanische Außenministerium entsandte im Jahr 1869 eine Kommission nach Korea, die unter anderem über die Inselgruppen Ulleungdo und Dokdo berichten sollte („Takeshima Matsushima Chōsen Fuzokuni Sōseikōshimatsu“ = Details darüber, wie Korea in den Besitz von Takeshima und Matsushima gekommen ist). Auf der Grundlage dieser Erhebung und im Zusammenhang mit einer Anfrage der zuständigen Präfektur, ob man die besagten Inseln mit in die japanische Territroialkarte aufnehmen solle, entschied der japanische Staatsrat im Jahr 1877, daß Japan keinen Anspruch auf das fragliche Gebiet habe. Diese Sachlage änderte sich erst im Jahre 1905, als dieselbe Präfektur in ihrer Verfügung Nr. 40 vom 22. Februar festlegte, die Inselgruppe gehöre von nun an zu Japan. Über diesen Vorgang besteht auch in Japan selbst keine Einigkeit: Zum einen wird er als legitim angesehen auf der Grundlage der Behauptung, die Inselgruppe sei zuvor terra nullius (Niemandsland) gewesen. Zum anderen wird behauptet, die Inselgruppe sei ohnehin immer schon japanisches Gebiet gewesen, was die Verfügung nur bestätigt habe. Nicht nur verstieß diese Verfügung gegen internationale Gepflogenheiten jener Zeit, sie entbehrte auch jeder konsistenten Begründung. Tatsächlich aber ist mittlerweile der japanische Einfluß auf die koreanische Politik übergroß geworden: Von Dezember 1905 an steht das Land praktisch unter dem Befehl des japanischen Generals-in-Residenz Ito Hirobumi, und die Annexion von 1910 ist fast schon vollzogen. Der letztliche Vollzug der Einverleibung jener Inselgruppe geht offenbar auf eine Initative eines japanischen Geschäftsmannes aus der Fischereibranche zurück namens Nakai Yōsaburo, der bereits im September 1904 beim Innenministerium beantragte, die Inseln zu annektieren, um die dortigen Fischbestände erschließen zu können. Zunächst wurde Nakai offenbar entmutigt, weil die Situation der Zeit (insbesondere der japanisch-russische Krieg) ein solches Vorgehen nicht begünstigen würde und die Intervention ausländischer Mächte befürchtet wurde. Aus strategischen Gründe vor allem kam man aber alsbald auf die Angelegenheit zurück. Allerdings wurde die Verfügung Nr. 40 nur im Geheimen ausgegeben und nicht weiter veröffentlicht, so daß die Koreaner selbst erst ein Jahr später von ihr erfuhren. Zwar wurde daraufhin in Korea öffentlich protestiert, aber eher in den Zeitungen, weniger im diplomatischen Bereich, was auch nicht weiter verwundern kann, weil Korea schließlich bereits unter japanischer Militärverwaltung stand.
Situation nach Ende des Zweiten Weltkrieges
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Japan in der Potsdamer Erklärung von 1945 auf seine ursprünglichen Grenzen eingeschränkt. Die genaue Definition dieser Grenzen wurde durch die Verfügung SCAPIN Nr. 677 des Alliierten Oberkommandos im Jahr 1946 nachgeliefert, in der ausdrücklich steht: „ … ausgeschlossen sind (a) Utsuryo (Ulleung) Island, Liancourt Rock (englische Bezeichnung für Dokdo seit 1846) …“ In die endgültige Fassung des Friedensvertrages mit Japan, im Jahr 1951 in San Francisco abgeschlossen, wurde jedoch diese ausdrückliche Definition nicht mehr aufgenommen. Aus dieser Auslassung schließt Japan offiziell auf die Rückerstattung der besagten Inselgruppe. Eine solche Auffassung erscheint aber schon allein deshalb nicht als schlüssig, insofern nicht nur die im Vertrag de jure bezeichneten Inseln, sondern darüber hinaus Tausende kleiner Inseln in der Umgebung mit in den Vertrag eingeschlossen und de facto als koreanisches Territorium behandelt wurden.
Schlußfolgerung
Wenn es darum geht, einen langfristig gewachsenen Konflikt zu beenden, hat man im Grunde immer zwei Möglichkeiten: Entweder rekonstruiert man die historische Entwicklung und leitet daraus die faktische Begründung eines Ergebnisses ab, oder man wählt einen bedeutsamen Fixpunkt in der Geschichte aus, der in der näheren Vergangenheit liegt, und leitet von diesem das Ergebnis ab, ohne auf die frühere Entwicklung weitere Rücksicht zu nehmen. Oftmals ist das letztere erfolgversprechender als das erstere. Im Falle des „Nahost-Konfliktes“ etwa, kann es sinnvoll sein, die UN-Teilungs-Resolution über Palästina von 1947, erlassen kurz vor dem Auslaufen des britischen Mandats im Jahr 1948, als einen solchen Fixpunkt zu wählen. Auch im hier erläuterten Konfliktfall liegt ein solches Vorgehen nahe. Insofern wäre die alliierte Verfügung von 1946 der passende Fixpunkt. Eine historische Ableitung liegt weniger nahe, weil sich über lange Zeiträume hinweg permanent die Rechtsverhältnisse verändern, und die Staatsverfassungen vergangener Jahrhunderte in der Regel mit unseren heutigen Auffassungen nicht mehr vereinbar sind. Welchen Weg auch immer man aber wählt, im vorliegenden Fall muß nach rationalen und nüchternen Erwägungen sicherlich Einigkeit darüber bestehen, daß die Inselgruppe Dokdo zu Korea gehört und nicht zu Japan. Es wäre an der Zeit, auf UN-Ebene die Regelung aus der alliierten Verfügung von 1946 wieder aufzunehmen und den Friedensvertrag von San Francisco in diesem Sinne nachträglich zu ergänzen.
Thomas Zimmermann München, 21. Mai 2009 |